Zur normativ-kritischen Kompetenz philosophischer Ethik
Zum Problem der Normenkonflikte und der Güterabwägung
Was philosophische Ethik häufig unbeachtet läßt oder in seinem Gewicht herunterspielt: Es ist nicht auszuschließen, daß in einer konkreten Lebenssituation mehrere sittliche Grundsätze gleichzeitig angesprochen sind und daß die Forderungen der Grundsätze in verschiedene Richtungen weisen. Zum Beispiel kann jemand in Gefahr ungerechter Verfolgung sein, dem man nur dadurch helfen kann, daß man der sittlichen Verpflichtung zur Wahrheit zuwiderhandelt. Außerdem ist es möglich, daß ein und derselbe Grundsatz wie der der Hilfsbereitschaft gleichzeitig mehrere Anwendungen erforderlich macht, die aber nicht zugleich geleistet werden können, daß zum Beispiel mehrere Personen in Lebensgefahr sind, nur einer zuerst gerettet werden kann, in dieser Zeit aber das Leben der anderen vielleicht schon verspielt ist.
Gemäß dem besonderen methodischen Status der sittlichen Grundsätze können diese nicht aus sich heraus und a priori sagen, welches Tun und Lassen dann das adäquate ist. Es kommt vielmehr auf eine Güterabwägung an, die nur mit Hilfe konkreter sittlicher Beurteilungsprozesse vorgenommen werden kann. Auch wenn die philosophische Ethik diese an der geschichtlich-konkreten Situation orientierte Güterabwägung dem Menschen nicht abnehmen kann, so stellt sie doch einige Grundsätze auf, nach denen die Güterabwägung vorzunehmen ist. Zu solchen Grundsätzen gehört das schon erwähnte Fairneßprinzip, nach dem man nicht aus einer Situation bloß die Vorteile ziehen, die Nachteile (Kosten) aber ganz auf die anderen abwälzen darf. Wie es die knappe Kritik am Utilitarismus gezeigt hat, verbietet sich auch eine kollektive (soziale) Nutzen-Risiko/Kosten-Abwägung, nach der die Vorteile primär von der einen Teilgruppe, die Risiken aber primär von der anderen Teilgruppe getragen werden, damit auch das Cook-Prinzip.