Bewegung ist Leben – körperliche Gesundheit

Wohlbefinden und Lebensfreude im Alter durch Bewegungs-Tanz-und Entspannungserlebnis.

Es gibt keinen Bereich im Hinblick auf das Alter, der stärker durch negative Mythen geprägt ist als der der Leiblichkeit. Die Leiblichkeit des alten Menschen wird in der Reihe der Attribute alt, krank, schwach, gebrechlich, deutlich. Das Alter wird als ein Zeitabschnitt physischer Desintegration, reduzierter leiblicher Bedürfnisse und Möglichkeiten gesehen. Das Alter braucht Ruhe, muß Anstrengungen vermeiden. Körperliche Zärtlichkeit und Sexualität haben sich „zurückgebildet“. Krankheiten tauchen auf und ziehen andere nach sich: Multimorbidität. Alt sein ist ein Stigma. Der alte Mensch ist als physisch behindert und eingeschränkt stigmatisiert, und er hat durch die Internalisierung derartiger Negativklischees zu seiner Leiblichkeit selbst ein negatives Verhältnis entwickelt. Diese Selbststigmatisierung führt wie eine „selbsterfüllende Prophezeiung“ dazu, daß physische Leistungsfähigkeit und Vitalität in weitaus größerem Umfang abnehmen, als dies eigentlich notwendig wäre. Der alternde Leib wird krank und gebrechlich, weil ihn ein „innerer Feind“ schwächt, ein negatives Selbstkonzept über den alternden Leib. Das lateinische Wort aetus und der englische und französische Folgebegriff age meinten ursprünglich einfach einen Zeitabschnitt ohne weitere Wertung. Das „Alter“ wird heute als die Schlußphase des Lebens mit klaren Wertungen versehen, insbesondere im Hinblick auf die Leiblichkeit. Der Leib wird „geschont“, nicht zu seinem besten. Seine Beweglichkeit und Belastung wird eingeschränkt, und „ein zunehmend eingeschränkter Lebensstil führt zu einem zunehmend eingeschränkten Muskelsystem, das dem, was dieser Mensch mit 25 tat, nicht angepaßt ist. Der Leib ist ein Opfer nicht des „Alterns“, sondern eines eingeschränkten Lebens geworden“. „Der Mensch wird alt, wenn er aufhört zu springen“, und er ist „so alt wie seine Gefäße“ (Cazalis). Da das gesamte Wohlbefinden und die physische und psychische, kognitive und soziale Leistungsfähigkeit eines Menschen von der Gesundheit und Leistungsfähigkeit seines Körpers abhängen, ist es von größter Wichtigkeit, die Vitalität des Körpers zu erhalten, negative Mythen über den „alten Leib“ zu entlarven, damit der „Feind von innen“ in seinen destruktiven Aktivitäten eingeschränkt wird.

In den westlichen Industrienationen betreibt nur ein verschwindend kleiner Prozentsatz älterer Erwachsener Sport oder geht physischen Aktivitäten nach, die einen körperlichen Trainingseffekt bewirken. Dabei sind Selbsteinschätzungen und Aussagen wie „Ich bin körperlich noch recht aktiv“ mit Skepsis zu bewerten, da sie sich oft nur auf ein regelmäßiges gemütliches Spazierengehen beziehen, das kaum einen Trainingseffekt bewirkt. Die Vernachlässigung physischer Aktivität ist besonders bei älteren Frauen und bei Altenheimbewohnern gravierend.

Wenn man älter wird, wird regelmäßige körperliche Aktivität ein wichtiger Faktor in der Erhaltung von Vitalität und Gesundheit. Die Duke-Studie, die 268 Personen über 60 Jahre im Rahmen einer Längsschnittuntersuchung erfaßt hat, hat gezeigt, daß körperliche Aktivität und Krankheit in einem klaren Zusammenhang stehen. Die Personen mit wenig körperlicher Aktivität hatten deutlich mehr Krankenhausaufenthalte, Operationen und eine höhere Sterberate als solche mit einer großen Bewegungsaktivität. Die Personen mit einer geringen körperlichen Betätigung hatten zweieinhalbmal soviel krankheitsbedingte Bettlägerigkeit von zwei und mehr Wochen Bettruhe pro Jahr als die körperlich Aktiven. Im Hinblick auf die Selbsteinschätzung zur Verschlechterung der Gesundheit war die Einschätzung der körperlich Aktiven halb so groß wie die der Inaktiven (Palmore 1968; 1974).

Viele Untersuchen haben gezeigt das Blutdruck, Blut-Laktat-Konzentration, Gelenkbeweglichkeit, Collagen-Netzwerk im Bindegewebe sich verkürzt, Mineralgehalt in den Knochen ansteigt, Atmung, Durchblutung, Herz Kreislauf, sich verbessert und vieles mehr Schlußfolgerung: „… der beste Schutz gegen senilen Abbau des Gehirns und cerebraler Aktivitäten ist eine Übung, die anders als geistige Aktivität Stoffwechsel, Atmung, Blutzirkulation, Verdauung und Drüsensekretion stimuliert.“ Man kann deshalb Hollmann (1965), voll zustimmen, wenn er schreibt, daß „körperliches Training nach dem vierzigsten Lebensjahr die einzige bekannte Möglichkeit ist, die natürlichen Alterungsvorgänge zu bremsen“. Körperliche und geistige Aktivität ist als eine der sichersten Grundlagen für die Prognose einer höheren Lebenserwartung anzusehen (Lehr 1979).

Physische Aktivität bei alten Menschen bringt nicht nur eine Verbesserung physiologischer Funktionen mit sich, sondern hat auch psychologische und psychosoziale Effekte. Diese sind einerseits auf die Wirkungen des Trainings selbst zurückzuführen, z.B. auf bessere cerebrale Durchblutung; zum anderen aber auch darauf, daß Ausdauertraining oder sportliche Aktivitäten meistens in sozialen Gruppen erfolgen, so daß eine Situation multipler Stimulierung bereitgestellt wird (Berndt 1977), die der Deprivation im somato-motorischen, psychosozialen, perzeptuellen und kognitiven Bereich entgegenwirkt (Lehr 1974).

Training „ist ein nützlicher Weg, um eine Verbesserung der physischen Kondition zu initiieren; es bringt aber keine dauerhaften Vorteile, wenn es nicht eine Veränderung zu einem aktiveren Lebensstil auslöst, der ein angemessenes Ausmaß an spontaner Übung beinhaltet“.

Die psychologischen Begleiteffekte, ja die geradezu „psychotherapeutische“ Wirkung von Ausdauer-Trainingsprogrammen, sind für gesunde Menschen der mittleren Lebensphase sowie für Patientenpopulationen durch zahlreiche Untersuchungen nachgewiesen worden.

All diese Ergebnisse legen nahe, daß Programme, die die körperliche Aktivität des alten Menschen fördern, eine hohe geroprophylaktische Wirkung haben. Ihnen kommt zur Erhaltung oder Restitution seiner physischen und psychischen Gesundheit, seiner psychosozialen Aktivität und seines allgemeinen Wohlbefindens eine hervorragende Bedeutung zu.

Trainingsprogramme sollten indes nicht erst im Alter einsetzen.

Mit dem Blick auf die deprivative Gesamtsituation des alten Menschen müssen Programme mit einem relativ komplexen Charakter konzipiert werden, die nicht nur ein kardio-pulmonäres Training bereitstellen, sondern auch Möglichkeiten des sozialen Austausches und der psychologischen Entlastung bieten. Sport-, Bewegungs-, Schwimm- und Gymnastikprogramme für ältere Menschen implizieren zwar derartige Elemente, in der Konzipierung allerdings werden sie nicht ausreichend berücksichtigt. Auch bei der Evaluation von Trainingsprogrammen wird physiologischen Parametern größere Bedeutung zugemessen als psychologischen und psychosozialen.

Schließlich wird der Spezifizierung auf bestimmte Zielgruppen und Erkrankungen – Arbeit mit hospitalisierten Heimbewohnern, depressiv Erkrankten, Hochdruck-Patienten usw. – in Zukunft noch größere Aufmerksamkeit zugewandt werden müssen (Drös 1981; Clark 1975).

Der Vorteil komplexer Programme gegenüber eindimensionalen Trainingskonzepten, die allein auf körperliche Ertüchtigung gerichtet sind, liegt in besseren Möglichkeiten zur Überwindung motivationaler Schwellen, breiterer Wirkweise und größeren Chancen für Dauereffekte.

Physisches Training und psychologische Förderung, Entwicklung der interaktiven Kompetenz und Performanz und der sozialen Kooperationsfähigkeit, Schärfen der persönlichen Bewußtheit für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse und Entfaltung von Kreativität und Spontaneität sind die Zielsetzungen dieses Ansatzes.

Alte Menschen zu bewegungstherapeutischer oder sportlicher Aktivität zu motivieren, erweist sich als relativ schwierig. Wir finden in der Regel Personen, die über Jahre, ja Jahrzehnte, einen „inaktiven Lebensstil“ angenommen haben, was physische Aktivität anbelangt. Dieser wird durch spezifische „believe systems“ abgestützt, z.B. daß man sich „im Alter schonen“, daß man „kürzer treten müsse“, sich nicht „anstrengen dürfe“. Zwar betont der Volksmund das Faktum „wer rastet, der rostet“ dennoch besteht im Hinblick auf physische Aktivität mit zunehmendem Alter ein Vorsichtsverhalten. Der untrainierte Körper erlebt sich als unsicher und gefährdet. Die Schonhaltungen aber führen zu einem weiteren Abbau psychomotorischer Kompetenzen und Performanz, und so entsteht ein „circulus vitiosus“ des Verlustes an körperlicher Beweglichkeit und Spannkraft, der durch extrinsische Motivation kaum zu durchbrechen ist.

„Unabhängig von ihrer Auswertung stimmen Forscher darin überein, daß ältere Menschen verstärkte Aktivität brauchen. Körperliche Inaktivität ist klar mit Übergewicht, frühzeitigen Kranzgefäßerkrankungen, unnötigen orthopägischen Problemen, Angst und emotionaler Spannung in Verbindung gebracht worden.

Der motivationalen Arbeit in der Anfangsphase eines Programms kommt deshalb besondere Bedeutung zu. Sie beginnt mit einer Analyse des Lebenskontextes des alten Menschen, bei der gestellt werden kann, welche Befürfnisse nach Aktivität überhaupt bestehen und wahrgenommen werden können. Nach Untersuchungen von Hoppa, Roberts (1974), ist es wesentlich, beim Einzelnen anzusetzen; und hier nehmen Einsamkeit, Unwohlsein, Angst, Depression, Langeweile als motivationale Faktoren sicher einen gewichtigen Platz ein. Am meisten beklagen sie sich über Eintönigkeit und Langeweile. Deshalb hat ein Programm, das eine Auswahl an verschiedenen Arten von Arbeit, Erholung und sozialen Situationen anbietet, eine bessere Chance, die Aufmerksamkeit wachzuhalten und die Investition an Zeit sinnvoll erscheinen zu lassen.“ Bedürfnis, Einsicht und Entschluß zur Veränderung und tatsächliche Umsetzung liegen oft weit auseinander. Eine habitualisierte Bequemlichkeit, die Angst vor nachfolgenden Schmerzen oder einem Unfallrisiko und eine vernachlässigende, abspaltende Haltung der eigenen Leiblichkeit gegenüber sind gewichtige Gegner, die man anzugehen hat. In der Motivationsarbeit fokussieren wir auf vier Aspekte:

1) Information und Aufklärung über die Wirkung pysicher Aktivität im Alter bzw. über die nachteiligen Effekte fehlender Aktivität;

2) Information und Aufklärung über die gesellschaftlich bedingten Negativhaltungen gegenüber der eigenen Leiblichkeit gegenüber dem „Alten Körper“;

3) Basisübungen zum Aufbau eines positiven Bezugs zur Leiblichkeit;

4) Basisübungen zum Erleben eines positiven Trainingseffektes.

Erst nach einer solchen Vorbereitung wird der Einstieg in ein Trainingsprogramm begonnen, das niemals nur auf den Aufbau physischer Fitneß gerichtet ist, sondern auch die Möglichkeit für Spiel, Spaß, Kreativität und sozialen Kontakt einbezieht. Diese Aspekte des Programms werden in der Motivationsarbeit auch besonders hervorgehoben.

Die allgemeine Motivationsarbeit beginnt zumeist in Gesprächsgruppen zu Fragen der persönlichen Gesundheit und des allgemeinen Wohlbefindens. Hier werden den alten Menschen die Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen in einfacher und klarer Weise vorgestellt. Immer wieder wird man sich mit Verwunderung und ungläubigem Erstaunen auseinanderzusetzen haben, aber der Verweis auf den rüstigen Bergwanderer und den alten Bauern, der noch einfache Feld- und Gartenarbeit verrichtet, sind überzeugende Gegenbeispiele. Gegen diese wiederum werden „medizinische Argumente“, die eigenen Gebrechen und Beschwerden, die man schon seit Jahren habe und die körperliche Aktivität unmögliche machen, ins Feld geführt und oftmals der „ärztliche Rat“, Vorsicht und Schonung walten zu lassen. Und hier gilt es deutlich zu mache, daß gerade eine sinnvolle, individuell abgestimmte körperliche Aktivität, die systematisch aufgebaut und regelmäßig betrieben wird, die geklagten Beschwerden beeinflussen, wesentlich bessern, ja zuweilen zum Verschwinden bringen kann. Es wird hier in sehr plastischer Weise den Gruppenteilnehmern zum Teil über Visualisierung erklärt, wie sich im Verlauf ihres Lebens das „Muster der Inaktivität“ aufgebaut hat. Es wird das Konzept des „Feindes von innen“ vorgestellt und die Wirkung negativer Selbstkonzepte verdeutlicht. Wir sprechen in der Gruppe auch über die Traurigkeit und den Ärger, die sich im Bezug auf den Körper entwickelt haben, der im Alter so viele Einschränkungen, Mühen und Schmerzen bereitet; denn die verdrängte Aggression gegen den Leib, der „alt und häßlich“ geworden ist, „lahm und schwach“, ist ein wichtiger Faktor, der dazu führt, daß der Körper „stiefmütterlich“, ja destruktiv behandelt wird. Er wird vielfach wie eine Maschine gesehen, die verschlissen ist und die man mit immer neuen Medikamenten und Präparaten „schmieren“ muß, damit sie es immer noch tut. Die Maschinenkonzeption des Körpers, wie sie sich in der Medizin vielfach findet, führt zu dem falschen Glauben, daß verschlissene Teile nicht mehr repariert oder ersetzt werden können. Ein solches Konzept entspricht aber nicht den sportphysiologischen und sportmedizinischen Erkenntnissen. Tatsache ist vielmehr, daß durch sinnvolle physische Aktivität und spezifisches Training und richtige Ernährung vielfach involutive Prozesse angehalten und zum Teil reversibel werden.

Wir lassen in den Gruppen in diesem Zusammenhang jeden Teilnehmer eine Körperlandkarte malen. Auf einer großen Umrißzeichnung des menschlichen Körpers – am besten des eigenen Leibes – werden mit Wachsmalstiften die Bereiche eingezeichnet, die eingeschränkt sind, die Schmerzen bereiten, die leicht ermüden, aber auch die, die noch gut funktionieren, die sich gut anfühlen, angenehm sind. Wir sprechen darüber, wann die Einbußen an Beweglichkeit, wann die Veränderung der Haut, wann die Schmerzen zuerst auftraten. Wir sprechen darüber, wann im Leben der Abbau physischer Aktivität begonnen hat. Wir denken darüber nach, in welchen Abschnitten des Lebens man seinen Körper als positiv, lustvoll und schön empfunden hat und wann mit Ärger, Traurigkeit, Beklommenheit und Bedrückung die ersten Zeichen von „Abbau und Verfall“ wahrgenommen wurden. Wir rekonstruieren zuweilen eine Körperlandkarte des „jungen Körpers“. Auf diese Weise wird für den Übungsleiter der „Traumleib“ des Klienten erfaßbar und es wird eine Bewußtheit für die Veränderung des Körperbildes geschaffen.

Wir beginnen meistens mit ganz einfachen Praktiken, die eine hohe „kognitive Konsonanz“ haben. Förderung der Durchblutung durch Reiben der Hände, Arme und Beine; Verminderung von Verspannungen durch Recken, Strecken und Dehnen oder durch Gähnen und einfache Atemübungen. Wir zielen auf Schmerzminderung und Erleichterung durch sanfte Selbstmassage verspannter Körperregionen. Wir versuchen, den Bezug zur eigenen Haut, den eigenen Händen, dem eigenen Gesicht wiederherzustellen: Hände, die mich im Leben erhalten haben, Füße, die mich durchs Leben getragen haben, mein Gesicht, in das das Leben meine Geschichte geschrieben hat.

Die Basisübungen aus der Sensory Awareness und der Atemtherapie sind dadurch gekennzeichnet, daß sie nicht nur einen „körperlichen“ Effekt haben, sondern daß sie sich positiv auf die emotionale Gesamtbefindlichkeit auswirken.

Wenn der alte Mensch erkennt, daß er mit seinem Leib unlösbar verbunden ist, wenn der Bruch zwischen Person und Leib überwunden werden kann, wenn er existentiell erfährt, daß Leben Bewegung und Bewegung Leben ist, dann haben wir eine Chance, ihn für dauerhafte Körper- und Bewegungsaktivität zu engagieren. „Der ältere Mensch muß erkennen, daß ein Übungsprogramm eine lebenslange Angelegenheit ist und nicht eine Aktivität von zwei bis sechs Monaten Dauer, deren Auswirkungen dann für immer vorhalten“. Eine solche Erkenntnis wird aber nicht allein durch die wohltuenden Erfahrungen mit dem körperlichen Training erreicht, sondern erfordert das Ablegen eines inaktiven Lebensstils und das Übernehmen eines aktiven Lebensstils, sowohl was körperliche Aktivität anbelangt als auch was die gesamte Lebensführung betrifft. Körperliche Aktivität als Lernprogramm begreifbar zu machen, sie als Möglichkeit der Selbstverwirklichung, der Kommunikation und der Partizipation am Leben erfahrbar werden zu lassen.

Isodynamik mit alten Menschen

Isodynamik ist ein übungszentriert-funktionales Trainingsprogramm im Rahmen des Bewegungserlebnisses bz. Integrativen Bewegungserziehung. Das Übungsprogramm kann in Einzelarbeit oder in Gruppen, unter Anleitung und als selbständige Übungsform durchgeführt werden. Dabei werden Erkenntnisse aus dem isometrischen Training, dem kardio-pulmonären Ausdauertraining, aus psycho-physischen Entspannungsverfahren, aus Atemtherapie, Kranken- und Heilgymnastik sowie Trainingsmethoden aus den martialen Künsten in abgestimmter Form eingesetzt.

Das Isodynamische Training hat folgende didaktische Konzeption:

1) Einfachheit der Übungen

Diese Forderung ist besonders für das eingeschränkte Bewegungspotential des alten Menschen, seine mangelnde Praxis und seine negativen Vorurteile gegenüber Bewegungsaktivität von zentraler Bedeutung.

2) Geringer Zeitaufwand

Durch die schnelle Ermüdbarkeit des alten Menschen und für die „Einbürgerung einer neuen Gewohnheit“ sind Übungsfolgen nötig, die nicht soviel Zeit beanspruchen. Täglich 15 – 20 Minuten, dazu zwei- bis dreimal wöchentlich 45 – 60 Minuten sind Zeitspannen, die sich bewährt haben.

3) Kurzfristige Resultate

Um die Motivation zu erhöhen und zu erhalten, müssen sich sehr bald Erfolgserlebnisse einstellen. Die Übungen müssen deshalb entsprechend ausgewählt werden.

4) Komplexe Wirkung

Im isodynamischen Training wird auf komplexe Wirkungsweise Wert gelegt. Durch Körpertraining soll die physische Kraft, Elastizität, Koordination, Schnelligkeit und Ausdauer aufgebaut werden, soll eine körperliche und seelische Entspannung als Gegengewicht zu Streß und Verspannung erreicht werden; es soll eine Steigerung des physischen Wohlbefindens, eine Verbesserung des gesundheitlichen Allgemeinzustandes eintreten; es soll Kommunikationsverhalten gefördert werden.

Wir beginnen in der isodynamischen Arbeit mit einem Vitalisierungstraining, das eine allgemeine Verbesserung der Kondition anstrebt und folgende sieben Faktoren einbezieht:

1) Atemregulation

2) Tonusregulation (Entspannung, Anspannung)

3) Koordination (Geschicklichkeit, Gewandtheit)

4) Flexibilität (Beweglichkeit der kleinen und großen Gelenke)

5) Kraft (dynamisch und statisch, Aufbau der Muskulatur)

6) Schnelligkeit (Reaktionsfähigkeit)

7) Ausdauer (Anregung des gesamten Herz-Kreislauf-Systems).

Dabei sollen Wirkungen für das Herz-Kreislauf-System, den Stütz- und Bewegungsapparat, das Atemgeschehen, die Stoffwechselprozesse und das zentrale und vegetative Nervensystem erreicht werden. Eine weitere Zielsetzung ist das Training der Sinnesleistungen, um sie zu erhalten oder zu verbessern (Sicht, Gehör, Gleichgewicht usw.).

Gemeinsamer Sport ist eine gezielte Gruppenaktivität. Dem sozialen Faktor kommt eine hohe motivationale und therapeutische Bedeutung zu. Im „Spontanlaufen“ findet über Laufsequenzen und -erlebnisse ein Austausch in Partner- und Gruppengesprächen statt. Ein weiteres spezifisches Moment ist die Vorbereitung des Laufens durch eine gezielte Dehn- und Atemtechnik. Schließlich ist es wichtig die Verbindung von physischem und mentalem Training, von körperlicher Aktivität und Imagination. Es kennzeichnet dies insgesamt das Vorgehen in der Isodynamik und macht die Besonderheit dieses Ansatzes aus. So werden in der Eingangsphase des Laufens folgende Vorstellungen vorgegeben: „Ich laufe mit Rückenwind“ oder „Ich treibe auf dem Fluß“ oder „Der Strom trägt mich vorwärts“. Schon in der Eingangsphase des Spontanlaufens werden Vorstellungen wie „Ich werde immer leichter“ oder „Ich lasse mich treiben“ rhythmisierend wiederholtem um Ermüdungserscheinungen vorzubeugen. Macht sich Ermüdung bemerkbar, so können Sätze wie „Ich lasse mich ziehen“, „Ich hänge mich an“ Entlastung bieten oder die Vorstellung zu reiten oder zu fahren. Der Wechsel zwischen Phasen des Trabens, des raschen Gehens, des langsamen Gehens zwischen gleichmäßigem und ungleichmäßigem Lauf unter Einbeziehung von Sprüngen, Grimassen, Gestik ist ein weiteres wichtiges Moment.

Die Phantasie- und Vorstellungsübungen beim Laufen haben einen autohypnotischen Effekt. Sie wirken wie die „formelhaften Vorsatzbildungen“ im autogenen Training. Sie können darüber hinaus in eine „meditative Form des Laufens“ führen, das mit Passagen meditativen Schreitens abwechselt und von den alten Menschen gut aufgenommen wird, da sie auf meditative Bewegungsformen besonders gut ansprechen.

Die Übungen des isodynamischen Trainings werden nach einer Bestandsaufnahme des allgemeinen gesundheitlichen Zustandes der körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten für die Teilnehmer individuell und spezifisch ausgearbeitet. Dehnübungen und Stretching bilden dabei immer die Grundlage für Übergangssequenzen, die Kraft und Ausdauer aufbauen sollen. Die Arme „wachsen“ beim Dehnen über ihre Länge hinaus, der Körper wächst beim Recken und Strecken im Stand bis an die Decke. Beim Liegen erreichen Fuß- und Fingerspitzen die Wände des Raumes, so weit streckt sich der Körper aus. Beim Rumpfbeugen wird die Vorstellung mitgegeben, man wiege und biege sich wie ein Baum im Wind. Bei Übungen zur Kräftigung des Standvermögens wird die Vorstellung einer Tempelsäule beigegeben oder einer Eiche, die ihre Wurzeln tief in den Boden sendet.

Es ist diese Kombination von Imagination und physischen Aktivitäten für den alten Menschen besonders ansprechend. Die Imaginationsübungen und die damit verbundene zentrierte Bewußtheit für die Leiblichkeit und für Bewegungsabläufe fördern das Erleben eines prägnanten Körperbildes. Der Körper wird wieder als positiv, angenehm, ja lustvoll erfahren (Karpustin 1978; Kuhlmann 1969). Die gesteigerte Leistungsfähigkeit, Ausdauer und vor allen Dingen Bewegungsfähigkeit, die durch isodynamisches Training erreicht wird, bietet eine Verbesserung der gesamten Lebenssituation, weil auch andere Alltagsaktivitäten: Treppensteigen, Tragen von Einkaufstaschen, Bücken, Heben, Anziehen, Schuhbinden usw., leichter vonstatten gehen. Eine Verbesserung der allgemeinen Stimmungslage, eine spürbare psychologische Wirkung also, geht mit fortschreitender Übung einher.

Die Verbindung des isodynamischen Trainings mit „psychologischer Gruppenarbeit“, z.B. durch Bewegungs- und Tanztherapie, ist der Hauptfaktor für eine kontinuierliche Arbeit zum Aufbau von Kondition und Beweglichkeit.

Bewegungsarbeit mit alten Menschen

Wir verstehen darunter nicht nur körperliche Aktivität, „Lokomotion“, Transport des Körpers von einem Ort zu einem anderen, sondern auch Gedankenbewegung, Gefühlsbewegung, innere Bewegtheit. Wir sehen in der Bewegung nicht nur Leistung, Kraft, Ausdauer, Geschicklichkeit, sondern auch Flüssigkeit und Anmut. All diese Qualitäten gilt es dem alten Menschen zu erschließen, damit er „Freude an der Bewegung“ gewinnt, Bewegung als Lebensprinzip erkennt. Die Bewegungsarbeit darf nicht mit den alten, innerlich abgelehnten Mustern der Mühe und Belastung assoziiert werden. Sie darf nicht zu einer „innerlichen Abwehrspannung“ führen, Ängsten vor Überforderung oder Verletzung. Wir beginnen deshalb meistens mit Entspannungsübungen im Liegen oder Sitzen und einfachen Bewegungsformen im Raum. Die Aneignung eines Raumes in der Bewegung, z.B. der Gymnastikhalle, stellt für viele alte Menschen, die auf nur sehr „beengtem“ Lebensraum leben, schon eine gewisse Barriere dar. Der alte Mensch ist zumeist in seinem Raum eingeschränkt. Er muß erst wieder Mut gewinnen, sich Raum aneignen zu dürfen, er muß sich Raum nehmen.

Der alte Mensch soll zunächst die Bewegung „aus sich heraus“ erfahren. Sie müssen beim vorhandenen Bewegungspotential des alten Menschen ansetzen und dieses allmählich ausdehnen und erweitern. Die ersten Bewegungsübungen haben deshalb für den Gruppenleiter diagnostischen Charakter. Die Übungen müssen so gehalten sein, daß sie von jedem Gruppenmitglied ausgeführt werden können. Sie sollten individualisierte Schwierigkeitsgrade zulassen. Von Anfang an ist bei der Gruppenarbeit darauf Wert zu leben, daß Übungen nur so weit und so häufig ausgeführt werden, wie sie als angenehm erlebt werden.

Der spielerische Charakter der Bewegungsarbeit, etwa durch die Arbeit mit Bällen und Reifen, mit Luftballons und Papierlampions, mit Stäben und Tüchern, fördert die soziale Aktivität, die Kontakte in der Gruppe

Ein besonderer Schwerpunkt ist das Sensibilitätstraining, durch das die Kapazität der Sinne erhalten und erweitert wird.

Der Teilnehmer lernt, „auf seinen Körper zu hören“. Es ist dies eine Fähigkeit, die in unseren Zivilisationen weitgehend verlorengegangen ist. Und das ist eine Ursache für den größten Teil der „Zivilisationskrankheiten“. Die körperliche Selbstregulation wird durch Überforderung und Straß, durch Betäubung und Vernachlässigung übergangen. Es gilt, die „Weisheit des Leibes“ den Gruppenteilnehmern wieder zugänglich zu machen.

Der Wiederaufbau und die Kräftigung eines positiven Körperbildes führt über die schrittweise Aneignung der verschiedenen Körperbereiche. Wir beginnen in der Regel mit den Händen. Diese sind zumeist noch beweglich und ausdrucksfähig und mit einer dichten Präsenz des Körper-Ich besetzt. Bewegungs- und Ausdrucksübungen mit Händen und Armen erfordern einen sehr geringen Aufwand an Kraft und Geschicklichkeit. Die Lockerung von Händen und Armen hat eine entspannende Wirkung auf den Gesamtkörper. Schulter und Nackenbereich sind die zweite Region, die durch die Bewegungsübungen angegangen werden. Es können diese Übungen auch im Sitzen oder im Liegen durchgeführt werden, so daß sie sich auch für Patienten, die in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkt sind, eignen. Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Gesicht durch Berührung oder Arbeit am Spiegel bedarf längerer Zeit und sorgsamer Begleitung, weil mit ihr eine Auseinandersetzung mit der Lebensgeschichte einhergeht. Das Leben hat seine Runen deutlich in das Gesicht gegraben. Das alte Gesicht als Ausdruck eines gelebten Lebens mit seinen schmerzlichen und positiven Seiten annehmen zu können, bedarf der Begleitung, des Sprachs in der Gruppe und der stützenden oder deutenden Intervention des Gruppenleiters. Der Verlust an Jugend und Schönheit führt oftmals in die Trauer, über die eine Wertschätzung von Ausdruckstiefe und -kraft gewonnen werden kann. In Bewußtheits- und Motilitätsübungen werden nach und nach alle Bereiche des Körpers bewußtgemacht, und hier setzen auch Übungssequenzen ein, die auf einen Trainingseffekt abzielen. Wird nämlich durch Dehn-, Streck- und Lockerungsübungen der Schultergürtel beweglicher, entspannter, beschwerdefreier, so kann diese Region besser in das Körper-Raum-Bild reintegriert werden. Wir ermutigen zu Ausdrucksbewegungen mit den Händen, in der Mimik, in der Gestik, in der gesamten Haltung, im Bewegungsablauf.

Gruppenzusammenstellung

Die Zusammenstellung der Gruppe hängt von den Zielsetzungen des Programms ab.

Ist das Ziel therapeutischer Art, so ist die Gruppengröße mit 8 – 10 Teilnehmern ausreichend.

Ist das Ziel des Programms bewegungserlebniss orientiert, so kann die Gruppe 16 Teilnehmer betragen. Großgruppen, wie man sie in Gymnastik- und Yogakursen für alte Menschen findet, sind nicht wirkungsvoll für die Bewegungs- und Körperbildung. Die zwischenmenschliche Kommunikation, die gerade für den alternden Menschen sich verkleinert, bleibt in den Großgruppen vielfach auf der Strecke.

Sehr wichtig ist es auch, das zusammen Veranstaltungen zwischen Altengruppen und jungen Gruppen stattfinden, um soziale Ausgrenzungen zu vermeiden.

Die zeitliche Dauer der Arbeit variiert mit der Belastungsfähigkeit der Teilnehmer, Zweimal wöchentlich 60 Minuten sollten jedoch als Ansatz erreichbar sein. Von der Zeit entfällt ein relativ kleiner Teil auf die physische Trainierung, der weitaus größere Teil wird mit Spielen, Bewegungsimprovisationen zu Musik und Gruppengesprächen verbracht. Geschlechtsverhältnisse der Teilnehmer sollten möglichst ausgeglichen sein. Denn in gemischten Gruppen ist der Effekt des sozialen Trainings nachhaltiger, auch die Leistungsmotivation im Hinblick auf die Bewegungsarbeit. In jedem Fall ist bei Bewegungsarbeit mit alten Menschen, um Risiken auszuschließen, die Zusammenarbeit mit einem Sportmediziner, Internisten oder Allgemeinpraktiker, der sich in kardiologische, sportmedizinische und geromedizinische Fragestellung eingearbeitet hat, erforderlich.

Überlastungen von Herz und Kreislauf, die ungenügende Berücksichtigung degenerativer Veränderungen können schwerwiegende Folgen nach sich ziehen.

Für die Durchführung des Programms halte ich den späten Nachmittag als geeignet.


Möglicher Titel für die Ausschreibung eines derartigen Programms könnte heißen: „Körper- und Bewegungstraining für alte Menschen“ oder „Atem- und Bewegungstraining für alte Menschen“.

Weiter sollte im Begleittext darauf hingewiesen werden, daß neben der Förderung der Beweglichkeit, neben einem kreislaufstärkenden Fitneßtraining, Spiele und geselliges Beisammensein zum Programm gehören.

Die Motivation zur Teilnahme kann durch eine derartige Ankündigung wesentlich gefördert werden.

 

Atemarbeit

Die Grundlage jeder Bewegungsarbeit ist die Atmung. Bewegung und Atmung müssen „miteinander gehen“. Die Bewegung muß die Atmung anregen, die Atmung die Bewegung stützen. Eine optimale Atmung ist trotz des individuellen Rhythmus, der jedem Menschen eigen ist, von folgenden Qualitäten gekennzeichnet: Gleichmäßigkeit, Tiefe, Fülle, Kraft.

Die Herz-Kreislauf-Funktion steht mit der Atmung in einem unlösbaren Zusammenhang. Beides beeinflußt sich wechselseitig, sofern keine pathologischen Veränderungen vorliegen. Eine kräftige, füllige Atmung, die die gesamte Thorax- und Zwerchfellmuskulatur einbezieht, gewährleistet eine optimale Sauerstoffzufuhr und ist deshalb für den Energiehaushalt des Körpers ein großer Gewinn. Eine solche Atmung allein wirkt schon auf das Herz-Kreislauf-System, weil die Atemwelle seine Funktionen stützt.

Unter Atemfülle wird ein Atemgeschehen verstanden, das den Brustraum, Rücken und die Schultern einbezieht und über den Bauch bis in den Beckengrund wirkt.

Die meisten Menschen atmen sehr flach und sind einseitig auf Brust- oder Bauchatmung fixiert, die Tiefe der Atmung ist unzureichend, der Gasaustausch damit vermindert. Es gibt kaum eine Funktion, die einen so nachhaltigen Einfluß auf das psychische und physische Befinden des Menschen ausübt, wie der Atem. Eine ruhige und gleichmäßige Atmung bei innerer Spannung und Nervosität bewirkt Beruhigung. Ateminterventionen bieten daher die Chance, für die Teilnehmer unmittelbare Effekte zu bewirken.

Atemarbeit wird am Anfang am besten im Sitzen oder im Liegen auf Matten durchgeführt. Dies ist erforderlich, weil alte Menschen in der Regel nicht gut stehen können, weil Atemarbeit anstrengend ist und die stehende Position den Kreislauf zusätzlich belastet, so daß für den Ungeübten die Atemarbeit Schwindelgefühle herbeiführen kann.

Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten, ein Atemprogramm zu beginnen.

Beispiel:

Die Teilnehmer setzen sich im Kreis auf Stühle, und zwar nur auf die vordere Stuhlkante, die Beine in Schulterbreite, die Füße flach auf die Erde gestellt. Der rechte Arm wird angewinkelt, so daß die Hand den linken Hüftknochen berührt und sich der Ellbogen in der Höhe des rechten Hüftknochens befindet. der linke Arm wird ebenfalls angewinkelt und in gleicher Weise in den Rücken gelegt. Auf diese Weise wird es dem Teilnehmer möglich, seine Atemwelle rundum zu spüren. Er wird dann aufgefordert, einfach einmal seinem Atem zu folgen. Nach einiger Zeit wird die Intervention gegen, durch den Mund zu atmen, wobei die Zunge gegen den Gaumen gestellt wird. Diese Technik bewirkt eine Vertiefung der Atmung, ähnlich wie beim Gähnen, was von den Teilnehmern spontan bemerkt wird. Als weitere Übung kann angeschlossen werden: mit einem leisen Zischlaut so lange und so viel wie möglich auszuatmen und in dem Moment, wo gar kein Atem mehr vorhanden scheint, noch einen kräftigen Hauchlaut auszustoßen. Die Übung kann auch mit einem Summton, der in einem Schrei ausläuft, durchgeführt werden. Aus dieser starken Ausatmung erfolgt eine reflektorisch vertiefte Einatmung, die über einige Zeit vorhält, ehe der Teilnehmer in sein übliches Atemmuster zurückfällt. Auf Dauer aber läßt sich das Atemmuster durch diese und andere Übungen nachhaltig verändern.

Relaxatives Organtraining

Die Atemarbeit wird mit einem Relaxationstraining verbunden. Mit der Ausatmung werden die Arme und der Oberkörper gedehnt und gestreckt. Die Hände werden abgespreizt, und mit dem letzten Stoß des Ausatmens wird die Spannung gelöst.

In der Arbeit auf der Matte am Boden wird systematisch jede Muskelgruppe angespannt, und zwar in der Regel durch Ausstrecken der jeweiligen Gliedmaßen (des Armes, des Beines, des Rumpfes, des Nackens). Die Streckspannung soll etwa 3 Sekunden dauern und dann mit dem Ausatmen losgelassen werden. Hier wird nun eine Besonderheits des relaxativen Organtrainings eingesetzt, durch die die Effekte der progressiven Relaxation mit Übungsfaktoren des Autogenen Trainings verbunden werden. Der Klient soll sich bei Streckspannung vorstellen, sein Arm (Bein, Rumpf etc.) werde länger, wachse, dehne sich aus bis an das Ende des Raumes. Aktive Dehnung und Vorstellung wirken zusammen und führen zu einer optimalen Entspannung. Nach ein- bis dreiwöchigem Üben (drei- bis fünfmal die Woche) stellt sich ein Generalisierungseffekt ein, so daß eine optimale Entspannung allein dadurch erreicht werden kann, daß der Klient sich einmal mit seinem ganzen Körper streckt und dabei die Vorstellung einschaltet, er dehne sich nach allen Seiten aus.

Gegenüber dem Autogenen Training hat die Verwendung muskulärer Anspannung den Vorteil, daß es praktisch keine Refraktäre gibt, sondern alle Klienten diese Methode schnell und sicher erlernen können.

Gegenüber der progressiven Relaxation bietet die Einbeziehung des Vorstellungsvermögens den Vorteil, daß all die Möglichkeiten, die die formelhafte Vorsatzbildung bietet, einbezogen werden können. Weiterhin wird durch die Koordination der Anspannung mit dem Atemgeschehen eine nachhaltigere Entspannung erreicht. Nur nebenbei sei vermerkt, daß das systematische kurzzeitige Anspannen der verschiedenen Muskelgruppen ein isometrisches Training darstellt, das einen stimulierenden Effekt auf die gesamte Muskulatur hat.

Von den alten Menschen wird die Atemarbeit besonders gut aufgenommen. Sie spüren die Wirkung, ohne durch sie physisch überfordert zu werden. Relaxations- und Atemübungen können auch bei Siechen, Schwerbehinderten und Hochbetagten eingesetzt werden. Sie stellen ideale Trainingsmöglichkeiten für Bettlägerige dar.

Zentrierungtraining

Die eigentliche Bewegungsarbeit beginnt mit der Zentrierung. Die Teilnehmer suchen sich einen Stand im Raume und versuchen, ihren Mittelpunkt zu finden. Körperzentrum und das Zentrum des Atemgeschehens fallen idealiter zusammen(Dürckheim 1969). Eine kleine Hilfe wird gegeben, wenn die Teilnehmer ihre Hände unter dem Bauchnabel leicht in den Leib drücken, und sie gegen diesen Druck „nach außen“ atmen. Der Gruppenleiter geht zu jedem Teilnehmer und beobachtet die Atemführung. Er setzt, wo notwendig, Korrektive durch direkte Körperinterventionen, die atemlockernd sind, z.B. durch leichten Druck in die Flanken, atemanregende Massagestriche durch das Bindegewebe zwischen den Schulterblättern, entlang der Wirbelsäule u. ä.

Hat jeder Teilnehmer seinen Mittelpunkt mehr oder weniger gut gefunden, so erfolgt die Aufforderung, „aus dem Mittelpunkt heraus“ im Raume zu gehen. Das gelöste und doch zentrierte Gehen im Raum stellte eine Grundübung dar, die gelernt werden muß, damit auch hier ein Generalisierungseffekt möglich wird. Teilnehmer, die über längere Zeit im Programm mitarbeiten, kommen „wie von selbst“ in die Zentrierung.

Leistungstraining

Ist ein Mindestmaß an Zentrierung erreicht, so beginnt die Einführung in die Grundpositionen („Pferdestände“ des Kung Fu). Diese Grundpositionen, den Kata des Karate vergleichbar, verstärken die Zentrierung und bilden den Ausgangspunkt einfacher Bewegungsmuster, die so modifiziert wurden, daß sie auf kleinem Raum ausgeführt werden können und die das eigentliche Leistungstraining darstellen.

Position 1:

Der Klient steht, die Beine leicht angewinkelt und schulterbreit, mit in Hüfthöhe gewinkelten Armen. Die Arme werden mit langem Ausatmen langsam und kraftvoll nach vorne gebracht und mit dem darauffolgenden Einatmen wieder angezogen.

 

Position 2:

Das linke Bein wird nach hinten genommen, wobei der linke Fuß im rechten Winkel zum rechten Fuß zu stehen kommt. Die Position ähnelt dem Ausfallschritt beim Fechten. Wiederum werden die Arme in der Ausatmung nach vorne gebracht.

Position 3:

Von Position 2 wird mit der Ausatmung ein Ausfallschritt nach links gemacht, von dort Einnehmen der Position 1. Es folgt die gesamte Übungsfolge nach rechts und schließlich von Position 1 ein Ausfallschritt nach vorne, so daß in der Positionsfolge sich eine Kreisbewegung ergibt. Diese wird zunächst langsam geübt. Sie stellt einige Anforderungen an die Koordination und fördert mit zunehmender Schnelligkeit Geschicklichkeit und Gewandtheit. Die Armstöße werden kräftiger ausgeführt, und zwar verbunden mit einem kraftvollen Ausstoßen des Atems. Schulter-, Brust- und Rückenmuskulatur werden dabei voll eingesetzt. Die Bauchmuskulatur durch die Bewegung und den tiefen Grätschstand einbezogen.

Werden die Grundpositionen beherrscht, so kommen komplexere Bewegungsfolgen hinzu. Beinstöße und Armstöße, die kraftvoll ausgeführt werden müssen, werden nach und nach eingefügt. Die Bewegungsfolgen haben einen tänzerischen Charakter. Mit zunehmender Sicherheit werden sie leicht und anmutig ausgeführt. Bei einer Steigerung der Schnelligkeit wird eine optimale Kreislaufbelastung erreicht. Das Bewegungsgeschehen kommt ohne weiteres an die Intensität eines Lauftrainings heran. Ermüdet der Klient, so führt er die Übungsteile langsamer aus, verweilt etwas länger in den Grundpositionen, setzt aber die Atemarbeit und den Bewegungsfluß fort, nach dem Prinzip des wu wei, der mühelosen Mühe. Die Armbewegungen sind nicht mehr stoßend und kraftvoll, sondern ausreichend, sanft, gebend und annehmend, empfangend.

Nach einiger Zeit werden die Übungen auch als Partnerarbeit durchgeführt. Hier wird nicht nur die Koordination geschult, sondern auch das Einfühlungsvermögen in den anderen, das Sich-Einstellen auf die Bewegungsfolgen des anderen. Die Partnerarbeit nimmt sehr oft den Charakter des spielerischen Kampfes oder des fließenden, feierlichen Schreittanzes an. Die einzelnen Positionen führen zu einer Dehnung und Lockerung des gesamten Körpers. Werden genügend Übungsfolgen beherrscht, so wird das initiale Relaxationstraining immer weniger wichtig, weil im Wechsel von aggressiv-kämpferischen, kraftvoll und auf Ausdauer und Schnelligkeit gehenden Bewegungsmodus zum sanften, fließenden, entspannten, tänzerischen Bewegungsmodus alle erforderlichen Impulse für eine funktionale, angemessene Atmung und für ein ausgewogenes Verhältnis von Spannung und Entspannung geboten werden.

Der langsame Beginn und die fortschreitende Intensivierung und zunehmende Schnelligkeit führen zu einer allmählichen Mehrbeanspruchung von Muskulatur, Bändern, Sehnen und Gelenken, und zwar in einer Weise, daß Überforderungen vermieden werden.

Kreativitätstraining

In der nonverbalen Partner- und Gruppenarbeit, sowie in den Gesprächsphasen, wird schon ein intensiver sozialer Bezug aufgebaut. Eingestreute Ballspiele, tänzerische Bewegungsimprovisationen zur Musik, fördern gleichermaßen einen intensiveren Kontakt. Besonders die kreative Bewegungsimprovisation zur Musik ist bei den Teilnehmern beliebt. Beibehalten wird die Bewegung aus dem Zentrum mit dem Atem und der Wechsel von kraftvollen und sanften Sequenzen, die gleichbedeutend mit Belastungs- und Ruhephasen sind.

Die alten Menschen gewinnen Freude an der Bewegung.

Die Teilnehmer sollen sich z.B. vorstellen, sie seien ein Samenkorn einer Blume, eines Baumes oder Strauches, das in der Erde eingeschlossen ist, keimt, erste Blätter treibt, sich nach und nach entfaltet, wächst und Knospen und Blüten hervorbringt.

Die Übung kann modifiziert werden, indem man vorgibt, daß jeder sich vorstellen solle, ein Baum zu sein, der den Ablauf eines Jahres erlebt. Hier werden die Möglichkeiten der Wahl verschiedener Bäume mit Vorstellungen über den Verlauf der Jahreszeiten verbunden. Windgeräusche können durch Zischlaute und den Einsatz der Stimmen simuliert werden.

Die Imaginationsübungen werden in der Regel mit geschlossenen Augen durchgeführt, wodurch die visuelle Vorstellungskraft angeregt wird.

In den nachfolgenden Gesprächsphasen berichtet jeder über das, was er gesehen hat. Dadurch lernt sich die Gruppe besser kennen.

Die Verbindung von Bewegung, Imagination und Musik bietet für die kreative Gruppenarbeit weitere Möglichkeiten. Wir arbeiten mit musikstücken von Tonträgern oder bewegen uns nach Musik, die die Teilnehmer mit einfachen Instrumenten wie Tambourin, Schlaghölzern oder – wo vorhanden – mit dem Orff-Instrumentarium improvisieren.

Arbeit mit Musik gehört zu den Teilen des Programms, die sich besonderer Beliebtheit erfreuen. Die Musik vermag die verschiedensten Gestimmtheiten zu vermitteln, die im Unterschied zum passiven Musikhören in der Bewegung, im Tanz ihren Ausdruck finden können.

Sozialtraining

Ein derartiges Vorgehen, das die Beziehungsebene und die Gruppendynamik voll einbezieht, erfordert und fördert social skillt, die darüber hinaus durch Interaktionsspiele und Kommunikationsübungen in einem spezifischen Sozialtraining entwickelt werden können.

In der Regel wird mit einfachen Bewegungsübungen begonnen. Sie erleichtern in der Initialphase die Arbeit und den Kontakt und führen zu einem besseren Kennenlernen. Ferner ermöglichen sie die persönliche Begegnung zwischen den Teilnehmern. Bei den Bewegungsübungen gehen z.B. zwei Gruppenmitglieder aufeinander zu, ohne miteinander zu sprechen. Darauf gehen sie nebeneinander her, wobei der eine versucht, sich in den Gang und in den Bewegungsrhythmus des anderen einzufinden. Nach einiger Zeit werden die Rollen getauscht. Danach wird über die Erfahrung gesprochen.

Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit ist das Gespräch über Kommunikation und Kontakt im Alter. In derartigen Gesprächen wird den Teilnehmern deutlich, in welcher persönlichen Situation die einzelnen Gruppenmitglieder stehen. Es wird zumeist auch ausdrücklich der Wunsch nach Kontakt verbalisiert. Dieser ist ein zentraler motivationaler Faktor für die Teilnahme an den Veranstaltungen, der genau so wichtig ist, wie der Wunsch nach einem körperlichen Gesundheitsprogramm.

Der Teil der Gruppenarbeit, der als Sozialtraining charakterisiert wird, hat die wichtige Funktion, die Teilnehmer dazu anzuregen, auch außerhalb der Treffen miteinander Kontakt aufzunehmen und z.B. Spazier- oder Laufgruppen zu bilden. Viele alte Leute, insbesondere Frauen, sind ängstlich, allein ausgedehntere Spaziergänge zu machen. Gemeinsam im Park zu laufen, erscheint ihnen weniger riskant als alleine auf die Trimmstrecke zu gehen. Aus derartigen, mit dem Programm verbundenen Kontakten entwickeln sich weitere Beziehungen im Alltag.

Da Arbeit mit alten Menschen nur sinnvoll ist, wenn sie den gesamten Lebenskontext im Auge hat und versucht, auf diesen einzuwirken. So wesentlich z.B. ein Herz-Kreislauf-Training für das gesundheitliche Wohlbefinden des alten Menschen ist, so eingeschränkt wird es, wenn es den Gesamtkontext nicht berücksichtigt.

Übungszentriert-funktionale Arbeit

Dieses Vorgehen führt durch gezieltes Training zu „richtiger“ Entspannung, zu geplanter Ertüchtigung, zur Steigerung von Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit und Geschicklichkeit usw. Isodynamisches Training nimmt hier eine besondere Stellung ein. Außerdem haben wir spezifische Trainingsbereiche erarbeitet, wie z.B. Vitalitätstraining, Orientierungs-, Flexibilitäts-, Sensibilitäts-, Expressivitätstraining, durch die die übungszentriert-funktionale Modaliltät des Vorgehens ein breites Spektrum der Anwendung erhält.

Beispiel:

Entspannung, Zentrierung, Grounding und Balance sind wichtige Konzepte in der übungszentrierten Arbeit. Sie beziehen jeweil die Atmung mit ein. Wir beginnen oftmals die Gruppenstunden mit einer kürzeren Sequenz des Reckens und Dehnens, um Entspannung und Lockerung zu bewirken, die die Grundlage für nachfolgende erlebniszentrierte Bewegungsarbeit wird.

„Wir beginnen heute mit einem leichten Ausschütteln der Hände. Sehen Sie, wie ich meine Hände in den Gelenken ausschüttle. Ja, das machen Sie gut, Frau XXXX. So, und jetzt den ganzen Arm einbeziehen, erst den rechten, dann den linken. Nicht zu heftig. Ganz locker, noch ein bißchen, und dann geben Sie sich Zeit zum Nachatmen. Und jetzt dehnen und strecken wir die Arme. Gut ausrecken und durchdehnen. Das ist gut, Herr YYYY. Noch ein bißchen mehr in die Höhe reichen … Und wieder Zeit geben zum Nachatmen … Gehen Sie jetzt durch den Raum, bis sie einen Platz finden, der Ihnen zusagt… Wir werden jetzt wieder ein wenig an der Zentrierung arbeiten, dem Erspüren unserer Körpermitte, inder wir ruhen und von der unsere Bewegung ausgeht. Die Füße schulterbreit hinstellen und sich vorstellen, Sie schicken von Ihren Füßen Wurzeln in die Erde, so daß Sie einen guten festen Stand haben … Jetzt fangen Sie ganz leicht an, in den Schultern zu schwingen. Ganz locker.“ Der Gruppenleiter geht von einem zum anderen, gibt behutsam Hilfen und Korrekturen. Aus der Grounding-Übung entwickelt sich zwischen dem Stand der Füße und der schwingenden Bewegtheit der Schultern ein Gefühl für die Körpermitte.

„Wenn Sie ein Gefühl für Ihr Zentrum, Ihre Körpermitte, gefunden haben, legen Sie bitte Ihre Hände auf diese Stelle Ihres Leibes. Wer das Gefühl noch nicht hat, schwingt leicht und rhythmisch weiter.“ Der Übungsleiter geht weiter zu Teilnehmern, die Schwierigkeiten haben, die „Mitte“ wahrzunehmen, und gibt Hilfen. „Geben Sie sich ruhig ein wenig Zeit, Ihre Mitte wahrzunehmen, und beginnen Sie allmählich, die Wurzeln aus dem Grund zurückzuziehen. Behalten Sie das Gefühl der Sicherheit, der Standfestigkeit. Und jetzt bewegen Sie sich wieder langsam in den Raum hinein. Mit dem Gefühl der Mitte in Kontakt bleiben!“ Die Bewegungen der Teilnehmer sind ruhig, zentriert und sicher. Es ist diese Sicherheit erforderlich, um raumausgreifender arbeiten zu können oder z.B. Balanceübungen einzuführen. „So, jetzt geht jeder einmal auf einem Parkettstreifen entlang. Versuchen Sie die Linie einzuhalten. Wenn Sie unsicher werden, spüren Sie einfach zu Ihrem Zentrum hin oder bleiben Sie stehen und gewinnen neuen Stand und neue Sicherheit … So, wer möchte, kann jetzt die Bewegung auf der Linie etwas beschleunigen. Nur soweit Sie sich sicher fühlen. So ist es gut, Frau XXXX … Und halten Sie an, und geben Sie sich etwas Zeit zum Nachatmen … Versuchen Sie jetzt, einige Schritte rückwärts auf der Linie zu gehen. Ganz leicht. Nehmen Sie Ihre Arme zum Ausgleich zu Hilfe.“

Nach derartigen Sequenzen setzen wir uns auf den Boden oder auf Stühle, die in einer Ecke des Gymnastikraumes stehen, und sprechen ausführlich über Schwierigkeiten, Ängste, Beschwerden und positive Erfahrungen der Entspannung und des Bewegungserlebens. Danach wird eine weitere Bewegungssequenz eingestimmt, die stärker erlebniszentriert verlaufen kann.

Erlebniszentriert-agogische Arbeit

Dieses Vorgehen dient zum Vermitteln neuer, alternativer oder erweiterter Erlebnis- und Erfahrungsmöglichkeiten. Bewegungsimprovisation, Bewegungsspiele und Intermediär-Objekte werden eingesetzt, um Erfahrungsspielräume zu erweitern, Ausdrucksfähigkeit, Spontaneität und Kreativität aufzubauen. Der alte Mensch erhält die Möglichkeit, den alten Leib als „neuen Leib“ zu erfahren, über Behinderungen und Einschränkungen hinaus eine neue Weise des leiblichen In-der-Welt-Seins zu finden.

Beispiel:

Die erlebniszentriert-agogische Arbeitsweise verbindet Phantasie und Imagination mit körperlichem Aufbau und Bewegungsgeschehen. „Wir sind von den Eingangsübungen alle alle noch recht locker, haben einen guten Stand, ein gutes Gefühl für unsere Mitte … Wir gehen jetzt wieder in den Raum und wollen nun versuchen, den Körper noch weiter in das Bewegungsgeschehen einzubeziehen und uns noch mehr Raum hier auf der Fläche zu nehmen. Breiten Sie doch einmal die Arme aus und beginnen Sie, den Raum zu durchqueren … Schön langsam … Ein bißchen auf die anderen achten … Es ist genügend Platz, man muß sich nicht in die Quere kommen. Sie machen das sehr schön, Frau XXXX. Eine gleitende Bewegung.“ …“Was stellen Sie sich dabei vor?“ – „Eine Möwe, die so im Wind segelt und gleitet“ – „Vielleicht können alle einmal sich vorstellen, wie eine Möwe im Wind zu segeln … Wem es zu viel wird und wem die Arme zu müde werden, der kann ein bißchen verharren und dann wieder neu beginnen!“ –

Es entwickeln sich bei fast allen Teilnehmern ruhige, gleitende, recht elegante Bewegungen. Der ganze Raum wird ausgefüllt, von einem Ende zum anderen durchmessen in Linien, Kurven, Schleifen, Achten, Kreisen. Die Teilnehmer beginnen, mit den Formen zu improvisieren, ruhen zwischenzeitlich aus, um wieder erneut in die Bewegung einzutreten. Zuweilen bilden sich Paare, die parallel „segeln“ oder miteinander Formen improvisieren. So entstehen Kontakte. „So, allmählich ausklingen lassen und sich in kleinen Gruppen oder zu zweit hinsetzen und über das Erlebte sprechen!“

Das Gespräch in Kleingruppen löst die Leiterzentriertheit etwas auf und fördert die Kommunikation zwischen den Teilnehmern. Außerdem erhält jeder mehr Freiheit und Raum, über seine Erfahrungen zu sprechen. Meistens kommen wir aber dann doch noch kurz in der Gesamtgruppe zusammen, bevor wir eine neue Bewegungssequenz einleiten, um zu sehen, ob Schwierigkeiten aufgetaucht sind, oder um Ratschläge und Hilfen zu geben. Es kann sich hier auch ein Übergang zu konfliktzentrierter Arbeit ergeben. Es soll an dieser Stelle jedoch auf die Möglichkeit der „Konfliktzentriert-aufdeckenden Arbeit“ hingewiesen werden, jedoch die Ausführung innerhalb eines Vereins würde den Rahmen sprengen.

Tanz mit alten Menschen

In der erlebniszentrierten Modalität werden durch Ausdrucksbewegungen, Ausdruckstanz in der Einzelarbeit oder in der Gruppe Möglichkeiten erschlossen, Gefühle, Stimmungen, Gedanken und Phantasien in tänzerischem Bewegungsausdruck zu gestalten. Verzweiflung, Hoffnung, Heiterkeit können in tänzerischer Form zum Ausdruck gebracht werden. Es ist möglich, Abschnitte des eigenen Lebensweges zu tanzen, Konflikte in der Gruppe tänzerisch auszutragen, Ängsten und Sehnsüchten eine tänzerische Sprache zu geben. Die persönliche Kreativität und Gestaltungskraft der alten Menschen ist im Medium des Tanzes oft erstaunlich reich und vielfältig, selbst bei Leuten, die ein Leben lang wenig oder gar nicht getanzt haben oder nur die klassischen Gesellschaftstänze praktizierten. Es müssen in der Regel alte Tanzklischees durchbrochen werden, um für die tänzerische Improvisation Raum zu schaffen. Dies geschieht unter anderem, indem die tanztherapeutische Arbeit ohne Musik beginnt und sich aus Stimmungen und Ausdrucksbewegungen entwickelt. Dabei finden sich typisch drei Stufen: Skulptur, Bewegung, Tanz.

Tanztherapie wird in der Arbeit mit alten Menschen als freier Improvisationstanz eingesetzt, aber auch in Form ritualisierter Tanzformen. Der kreative Selbst-Ausdruck wird in der freien Tanzform meistens als sehr befriedigend erlebt. In ritualisierten Tanzformen werden Gefühle der Sicherheit, Geborgenheit und Kraft vermittelt.

Im freien wie im ritualisierten Tanz werden neben Ausdrucksmöglichkeiten für Probleme aus der Lebensgeschichte oder dem aktualen Lebenskontext auch Dimensionen zugänglich, die man als meditatives Bewegungserleben kennzeichnen kann. Es sind derartige Erfahrungen gerade für alte Menschen, die sich mit den Fragen um Leben und Sterben, um Religion und Tanszendenz häufig in besonderer Weise auseinandersetzen, Hilfen zur Vertiefung. Die Meditation in Bewegung und Tanz, zum Teil angeregt durch meditative Bewegungsformen etwa aus den fernöstlichen Systemen der Bewegungsmeditation Tai Chi, Kung Fu, Aikido usw. Es wird durch die Bewegungsmeditation nicht nur eine Möglichkeit geben, sich in einer neuen Weise Sinnfragen zuzuwenden (Petzold 1983), sondern es kann eine Ruhe und Gelassenheit gewonnen werden, ein ganzheitliches Erleben des „Dasein im Leib und in der Bewegung“, das in seiner unmittelbaren körperlichen Konkretheit versichernd und tröstlich wirkt.

Die Bewegung löst den Menschen, macht ihn geschmeidig, biegsam, fördert die innere Bewegtheit. Körperliche Übung, wie das isodynamische Training, kräftigt den alten Menschen, gibt ihm Sicherheit, Standvermögen, Vitalität und Spannkraft. Der Tanz erfreut das Herz des Menschen, verleiht ihm Leichtheit und eine Heiterkeit des Gemüts, die den Beschwernissen und Dunkelheiten des Alters entgegenwirken können. Übung, Bewegung und Tanz sind deshalb Elemente in der Arbeit mit alten Menschen, die in ihrer Bedeutung für die Erhaltung und Entfaltung von Gesundheit, Wohlbefinden und Lebensfreude im Alter (Brown 1982) gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können und deshalb integrierter Bestandteil jeder Altenarbeit sein müßten.

 

Zusammenfassung

Die Sinnesempfindung und unser Denken beruht auf Bewegung. Alles Verhalten setzt sich aus vier miteinander untrennbaren Teilen zusammen:

Sinnesempfindung, Gefühl, Denken und Muskelsystem.

 

Von diesen vier überwiegt die Rolle der Muskulatur so sehr, daß keine Änderung geschehen kann, ohne daß in der motorischen Region der Gehirnrinde eine Veränderung voranginge. Wenn wir auf irgendeine Weise in der motorischen Region eine Änderung herbeiführen und dadurch das Zusammenspiel ändern können, so wird sich eine elementare Veränderung des Bewußtwerdens ergeben.

Also, so wie innen, so auch außen. Oder Muskelveränderungen geben Hinweise auf Gefühls- und Denkveränderungen.

Die hier am Beispiel des Altensports ausgeführten Möglichkeiten der Bewegungen ins Wohlbefinden sollen lediglich deutlich machen inwieweit eine „Entspannungsabteilung“ in einem Sportverein den Begriff der Bewegung, und damit dem Sport zu einer neuen Dimension verhelfen könnte. Auf die philosophisch-politische-Betrachtung des Themas wurde hier verzichtet. Ich bin auch hierzu zu gegebener Zeit gerne bereit.

Wenn ich mich in der Ausführung so sehr mit der Bewegung beschäftigt habe, so hat dies zwei Gründe:

Erstens in einem Sportverein steht zunächst einmal Bewegung im Vordergund der Tätigkeit aller Aktiven;

zweitens hat Bewegung mit Bewegtheit und somit mit der inneren Struktur und der Einstellung zum Selbst also mit dem Alter zu tun.

Ändern wir unsere Bewegung, so ändern wir unser Selbst. Keine Bewegung heißt Siechtum und dahinvegetieren.

Selbstverständlich ist Bewegung nicht alles. Auch Sinneswahrnehmung ist ohne Bewegung nur eingeschränkt möglich.

An dieser Stelle sei auch auf Möglichkeiten wie Meditation,

Malen, Farbwahrnemung, Musizieren, Tastübungen, Schwebebad, Geruchsübungen und vieles andere mehr als Weg von innerer Bewegung und deren Ausdruck hingewiesen; auf deren Ausführungen ich hier nicht eingehen wollte. Es kann bei Interesse nachgeholt werden.

In den fünfzehn Jahren meiner Tätigkeit als Gruppenleiter und Therapeut habe ich dies ebenfalls in meiner Arbeit eingesetzt.

Ich bin natürlich für jede Kritik und Anregung dankbar und würde mich freuen wenn meine Ausführungen dazu beitragen könnten, in dem einen oder anderen Vereinsmitglied, Übungsleiter usw.

fruchtbaren Boden zu finden.

Noch ein letztes zukünftig wird eine neue Form des Sports an Bedeutung gewinnen der „Ganzheitssport“. Hier werden andere als die bisherigen Erkenntnisse eine Rolle spielen.

Denn nach dem Motto: vom „Arbeitsstreß in den Fitneßstreß“ wird es nicht weiter gehen.

Von einem Erfüllungszwang zum anderen, den uns die Freizeitgesellschaft auferlegt, wird unser Lustsystem nicht befriedigt. Was bei der hektischen Betriebsamkeit auf der Strecke bleibt, sind unsere Sinneseindrücke. Diese gilt es egal, welches Alter wir haben, immer neu zu aktivieren.

 

Dezember 1989

Prof. Dr. W. Martin Ewald

Psychotherapeut

LITERATUR

BROWN, S.R.: Mind and body – together, Somatics 4, 1982; 26-33.

CLARK, B.: Response of institutionalized geriatric mental patients to a twelve-week programme of regular physical activity, J. Gerontology 5 (1975) 565-573.HOLLMANN, W.: Körperliches Training als Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen, Hippokrates, Stuttgart 1965

DROES, R.: Psychomotorische Therapie mit Alternden – Universität Amsterdam, 1981.

HOPPA, N.: Implications of the activity factor, Gerontologist 3 (1974) 331-335.

KARPUSTIN, P.: Sport für alle – auch für Ältere -, Praxis der Leibesübung 19 (1978), 74-76.

KUHLMANN, F.: Älterer Mensch und Sport, Ärztliche Praxis 21 (1971).

LEHR, U.: Die Bedeutung des Sports im Rahmen der Interventionsgeronologie in: Hochheim 1979;

LEHR, U.: Körperliche und geistige Aktivität – eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Altern -, Zeitschrift Geronologie 11/1978, S. 92-99.

PETZOLD, H.G.: Nootherapie und „säkularae Mystik“ in der Integrativen Therapie, 1983.

PETZOLD, H.G.: Integrative Bewegungstherapie, Junfermann-Verlag, 1988.