Informationsmagazin der Universität Zürich, Ausgabe 6/1992
Die Partyszene sowie In-Lokale werden seit kurzem durch einen aktivierenden Drink auf der Basis von Guarana bereichert. Auch Bodybuilder und Jogger haben dieses Stimulans bereits in ihr Trainingsprogramm aufgenommen. Mittlerweile sorgt der Wachmacher Guarana für Schlagzeilen. Zu Unrecht wird Guarana häufig mit psychoaktiven Drogen in Zusammenhang gebracht. Guarana, seit Menschengedenken das tägliche Getränk der Indianer am Amazonas, ist ein stark koffeinhaltiges Genußmittel, das offenbar in der Alten Welt Anklang findet.
Am Institut für Pflanzenbiologie der Universität Zürich studiert eine Forschungsgruppe unter der Leitung von PD Dr. Thomas W. Baumann die Bildung und Speicherung von Koffein im Pflanzenbereich, wobei auch Guarana untersucht worden ist.
Einst wuchs in einem Indianervolk ein wundersamer Jüngling auf. Überall, wo er gerade war, breitete sich Freude und Zufriedenheit aus, ein wahrer Segen für den ganzen Stamm: Die Kranken wurden geheilt, Streitigkeiten geschlichtet und die Überfälle der Feinde vereitelt. Da wurde der böse Geist namens Jurupari von Eifersucht gepackt und in Gestalt einer Schlange vergiftete er den Jüngling tödlich, als dieser im Wald Früchte pflückte. Der Jammer war groß, aber ein Blitz vom Himmel unterbrach die Klage. Tupa, die Gottheit, stieg vom Himmel herab, tröstete die Mutter und gab ihr die Weisung, die schönen Augen ihres Sohnes zu begraben, denn es werde aus ihnen eine heilige Pflanze sprießen, die den Indianern Nahrung geben und ihre Leiden sowie Schmerzen lindern werde. Also wurden die Augen in die Erde gepflanzt und siehe da!, aus den kostbaren Samen keimte die Guarana-Pflanze, die wissenschaftlich Paullina cupana HBK var. sorbilis heißt und mit unserer Roßkastanie verwandt ist. So die Legende.
Nahrung und Stimulans zugleich
In der Tat, die Samen sind reich an Fett, Stärke und Eiweiß. Aus den zerstampften Samen und unter Beimischung von viel Maniokmehl stellen die Indianer eine Art Brot her. Am wichtigsten ist jedoch das aus den Samen zubereitete Getränk, welches am Morgen eingenommen wird und dazu verhilft, den ganzen Tag im feucht-heißen Klima und in voller Tätigkeit mühelos zu überstehen. Die ersten Europäer, die mit diesem Getränk zu Beginn des letzten Jahrhunderts in Kontakt kamen, beschrieben die Wirkung als einen anhaltenden physischen und psychischen Auftrieb.
Anbau und Verarbeitung
Die rankende Guarana-Liane, eine Bewohnerin des tropischen Primärwaldes, wird von den Indianern vor allem im mittleren Amazonasbecken an Stützen, ähnlich unserer Weinrebe, gezogen. Innerhalb von etwa 75 Tagen entwickelt sich aus dem befruchteten Blütenstand eine reife Guarana-„Traube“. Sobald sich das erste Auge öffnet, pflücken die Indianer die ganze „Traube“. Die Samen, 1 bis 3 pro Frucht und bis zu 80 pro „Traube“, werden von Hand herausgeschält und über Nacht im Korb am Rande des Flußbetts eingeweicht. Am nächsten Tag kann das „Augenweiß“ (botanisch ein Arillus) mit den Fingern leicht weggerieben werden. Hernach werden die Samen, die nun ganz wie kleine Kastanien aussehen, in einer weiten Tonschale langsam und unter stetem Wenden geröstet, wobei von Zeit zu Zeit das Röstgut mit wenig Wasser besprengt wird. Nach dem vollständigen Entfernen der dunklen Samenschale werden die Samen im Mörser aus Holz unter Beigabe von Wasser zerkleinert. Die resultierende Masse, die noch ganze Samen sowie große Bruchstücke enthält und etwa die Konsistenz eines schweren Brotteiges hat, wird zu kurzen Stangen (Bastao) geformt. Schließlich werden die Bastaos über einem Feuer aus aromatischem Holz geräuchert. Ein guter Bastao wiegt ein halbes Kilogramm und ist in Form, Farbe und Konsistenz am besten mit einer (geschälten) harten Salami zu vergleichen. Mitunter werden aus der Guarana-Masse auch kleine Kunstwerke geformt.
Verwendung, Wirksubstanzen und Handelsprodukte
Diese so hergestellte Vorratsform von Guarana wird für die Zubereitung des Getränks verwendet, wobei der Bastao mit der knöchernen Zunge eines Fisches (Pirarucu) geraspelt und das entstandene feine Pulver in Wasser aufgeschlämmt und getrunken wird. Die starke Wirkung wird auf den hohen Gehalt der Samen an Koffein zurückgeführt, der bis zu 5,8 Prozent betragen kann. Im Vergleich dazu enthalten die Bohnen des Arabica-Kaffees durchschnittlich 1,2 Prozent. Die nachhaltige Stimulierung sowie eine gute Verträglichkeit mag auf den hohen Gehalt der Samen an Gerbstoffen (über 12 Prozent) zurückzuführen sein, welche Koffein binden und dieses wahrscheinlich nur langsam freigeben. Die Samen enthalten auch Saponine, eine Stoffklasse, die zum Beispiel im Ginseng anzutreffen ist.
In unseren Breitengraden wurde Guarana bislang lediglich im pharmazeutischen Bereich und dann vorwiegend in der Behandlung von Darmerkrankungen eingesetzt. Vor langer Zeit wurde auf dem Schweizer Markt eine Art Guarana-Limonade zum Kauf angeboten, welche in Brasilien sehr populär ist und leider, wenn überhaupt, nur äußerst geringe Mengen des Naturproduktes enthält. Die moderne Koffein-Analytik, wie sie am Institut für Pflanzenbiologie der Universität Zürich in der Forschungsgruppe von PD Dr. Thomas Baumann betrieben wird, erlaubt es, in einem koffeinhaltigen Genußmittel anhand des Vorkommens von koffeinverwandten Substanzen die Herkunft des Koffeins und den Anteil des natürlichen Produkts auszumachen. Neuerdings sind wiederum Guarana-Produkte auf dem Markt erschienen, diesmal in Pulverform für die Zubereitung stimulierender Drinks. Es handelt sich, wie die Analyse ergeben hat, um unverfälschte Produkte aus Guarana-Samen, welche offenbar in gewissen Insiderkreisen (Jogger, Bodybuilder und Tanzlustige) mit wachsender Beliebtheit konsumiert werden. Es schient, daß eine starke Koffeindosis nicht nur das geistige, sondern auch das sportliche Vergnügen fördert. Die Liane aus dem Amazonas ist ein schönes Beispiel für die wunderbaren Schätze des tropischen Regenwaldes, deren Anblick uns bezaubert und deren Genuß unser Leben bereichert.